Lange stand das beige Haus mit den grünen Fensterläden an der Verenastrasse 1 gegenüber der Theiler Druck AG in Wollerau leer. Seit vergangenem Mittwoch leben elf Ukrainerinnen und Ukrainer in dem dreistöckigen Haus. Helfende Hände aus der Nachbar- und Verwandtschaft, darunter die Höfnerin Gabriela Eggler, packten fleissig mit an und richteten die Wohnungen mit dem Allernötigsten ein. Die Direkthilfe Ukraine Schindellegi, das Hilfswerk von Jolanda Chomytsch, der Mutter von Eggler, hatte dazu aufgerufen. Wer die monatliche Miete von 5000 Franken für die drei Wohnungen bezahlt, ist noch nicht vollständig geklärt. Eventuell komme die Gemeinde dafür auf, meint Eggler.
Geflüchtete Englischlehrerinnen
Erst wenige Tage zuvor war den drei Familien – Olena Hulyayhorodska mit ihren beiden Söhnen, Halyna Datsko mit ihren drei Enkelkindern sowie Olena und Andrii Boiarchuk mit ihrer Schwiegertochter Olha und ihrem Enkel Marko – die Flucht aus der Ukraine gelungen. Die gesamte Verwandtschaft findet ihren Ursprung in Brody, zwei Stunden von der Stadt Lwiw entfernt. Gabriela Egglers Grossvater mütterlicherseits zog es in die Schweiz, der Bruder blieb in der Ukraine. Olena Hulyayhorodska, Coucousine von Gabriela Eggler, lebte als berufstätige Mutter mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Lwiw. Sie ist Professorin und bringt Kindergarten- und Primarlehrern sowie Sozialarbeitern in Ausbildung Englisch bei.
Die 68-jährige Halyna Datsko, die über ihren Mann mit Egglers Familie verwandt ist, unterrichtet ebenfalls Englisch. Eigentlich ist sie mit 68 Jahren pensioniert, doch weil ihre Rente sehr tief ist und ihr kranker Mann Medikamente braucht, arbeitet sie Teilzeit weiter.
Ein schwerer Entschluss
Wie alle hatte Halyna Datsko nicht mit einem Krieg gerechnet. Bis Februar hatte Russland sukzessive rund 150'000 Soldaten und militärisches Gerät an den Grenzen rund um die Ukraine zusammengezogen. «Dennoch gingen wir davon aus, dass sich die Situation beruhigt.» Am 24. Februar marschierten die russischen Soldaten ein. Etwas mehr als eine Woche später, am 5. März, beschloss die 68-Jährige, zusammen mit ihren drei Enkelkindern auszureisen.
Auch Olena Hulyayhorodska fasste für sich und ihre beiden Söhne diesen schweren Entschluss. Es galt, verschiedene Entscheidungen zu treffen: über die Slowakei, Ungarn oder Polen? Mit dem Zug, mit dem Auto oder zu Fuss? Relativ schnell klar war, dass es in die Schweiz gehen würde, wo Hulyayhorodska schon zweimal war und wo Gabriela Eggler und ihre Mutter sie aufnehmen wollten.
Viel Geduld auf der Flucht
Die beiden Frauen beschlossen, am 8. März zusammen auszureisen. «Wir lernten so viele Leute auf unserer Reise kennen», erinnert sich die 68-Jährige Datsko. Menschen mit ganz verschiedenen Geschichten. Vor der Grenze hatte sich eine grosse Schlange gebildet. Vier Stunden habe es bis zur Grenzkontrolle gedauert.
Olena Hulyayhorodska entschied, einen Freund zu kontaktieren, der sie mit dem Auto an die Grenze bringen sollte. «Wir blieben jedoch stecken, weil es so viele Autos hatte.» Also nahm sie ihren schweren Rucksack und ihre beiden Kinder und machte sich zu Fuss auf den Weg. Dann, als es geschafft war, sie endlich in Polen waren, musste die junge Mutter mit unruhigen Kindern am Arm eine weitere Stunde auf einen Platz in einem der Busse warten. «Ich war so erschöpft, dass ich nicht mal mehr schaute, wo der Bus genau hinfährt. Ich wollte einfach da rein», erinnert sich die 45-Jährige. Von Gabriela Eggler, welche mit ihrem Bruder Stefan nach Polen reiste, wurde das Trio abgeholt. Ein paar Stunden später konnte auch die Grossmutter mit ihren drei Enkelkindern beim Bahnhof Zamosc abgeholt werden.
Mit dem Neunplätzer ging es Richtung Schweiz. Nach einem Zwischenstopp mit Übernachtung in Tschechien und einer Übernachtung in Bayern kam die grosse Familie nach insgesamt zwölf Stunden Fahrt in Schindellegi an.