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Wollerau
22.03.2022
22.03.2022 14:33 Uhr

Ukrainische Frauen und Kinder finden Zuflucht in Wollerau

Haben ihre erste Nacht in Wollerau verbracht: (v. l.) Olena und Andrii Boiarchuk, Emiliia Datsko (14), ihre Schwester Yaryna (10) und ihr Bruder Darii (8), Grossmutter Halyna Datsko, Olena Hulyayhorodska und ihre beiden Söhne Ustym (4) und Hordii Dmytryk (10), Gabriela Eggler, ihre Mutter Jolanda Chomytsch und ihr Neffe Mael. Es fehlen Olha Antonik und ihr Sohn Marko Boiarchuk (7).
Haben ihre erste Nacht in Wollerau verbracht: (v. l.) Olena und Andrii Boiarchuk, Emiliia Datsko (14), ihre Schwester Yaryna (10) und ihr Bruder Darii (8), Grossmutter Halyna Datsko, Olena Hulyayhorodska und ihre beiden Söhne Ustym (4) und Hordii Dmytryk (10), Gabriela Eggler, ihre Mutter Jolanda Chomytsch und ihr Neffe Mael. Es fehlen Olha Antonik und ihr Sohn Marko Boiarchuk (7). Bild: Anouk Arbenz
Vier Frauen, ein Mann und sechs Kinder mussten sich schweren Herzens von ihren Ehemännern, Söhnen und Brüdern verabschieden, um sich in Sicherheit zu bringen. Zwei Ukrainerinnen erzählen von ihrer Reise in die Schweiz.

Lange stand das beige Haus mit den grünen Fensterläden an der Verenastrasse 1 gegenüber der Theiler Druck AG in Wollerau leer. Seit vergangenem Mittwoch leben elf Ukrainerinnen und Ukrainer in dem dreistöckigen Haus. Helfende Hände aus der Nachbar- und Verwandtschaft, darunter die Höfnerin Gabriela Eggler, packten fleissig mit an und richteten die Wohnungen mit dem Allernötigsten ein. Die Direkthilfe Ukraine Schindellegi, das Hilfswerk von Jolanda Chomytsch, der Mutter von Eggler, hatte dazu aufgerufen. Wer die monatliche Miete von 5000 Franken für die drei Wohnungen bezahlt, ist noch nicht vollständig geklärt. Eventuell komme die Gemeinde dafür auf, meint Eggler.

Geflüchtete Englischlehrerinnen

Erst wenige Tage zuvor war den drei Familien – Olena Hulyayhorodska mit ihren beiden Söhnen, Halyna Datsko mit ihren drei Enkelkindern sowie Olena und Andrii Boiarchuk mit ihrer Schwiegertochter Olha und ihrem Enkel Marko – die Flucht aus der Ukraine gelungen. Die gesamte Verwandtschaft findet ihren Ursprung in Brody, zwei Stunden von der Stadt Lwiw entfernt. Gabriela Egglers Grossvater mütterlicherseits zog es in die Schweiz, der Bruder blieb in der Ukraine. Olena Hulyayhorodska, Coucousine von Gabriela Eggler, lebte als berufstätige Mutter mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Lwiw. Sie ist Professorin und bringt Kindergarten- und Primarlehrern sowie Sozialarbeitern in Ausbildung Englisch bei.

Die 68-jährige Halyna Datsko, die über ihren Mann mit Egglers Familie verwandt ist, unterrichtet ebenfalls Englisch. Eigentlich ist sie mit 68 Jahren pensioniert, doch weil ihre Rente sehr tief ist und ihr kranker Mann Medikamente braucht, arbeitet sie Teilzeit weiter.

Ein schwerer Entschluss

Wie alle hatte Halyna Datsko nicht mit einem Krieg gerechnet. Bis Februar hatte Russland sukzessive rund 150'000 Soldaten und militärisches Gerät an den Grenzen rund um die Ukraine zusammengezogen. «Dennoch gingen wir davon aus, dass sich die Situation beruhigt.» Am 24. Februar marschierten die russischen Soldaten ein. Etwas mehr als eine Woche später, am 5. März, beschloss die 68-Jährige, zusammen mit ihren drei Enkelkindern auszureisen.

Auch Olena Hulyayhorodska fasste für sich und ihre beiden Söhne diesen schweren Entschluss. Es galt, verschiedene Entscheidungen zu treffen: über die Slowakei, Ungarn oder Polen? Mit dem Zug, mit dem Auto oder zu Fuss? Relativ schnell klar war, dass es in die Schweiz gehen würde, wo Hulyayhorodska schon zweimal war und wo Gabriela Eggler und ihre Mutter sie aufnehmen wollten.

Viel Geduld auf der Flucht

Die beiden Frauen beschlossen, am 8. März zusammen auszureisen. «Wir lernten so viele Leute auf unserer Reise kennen», erinnert sich die 68-Jährige Datsko. Menschen mit ganz verschiedenen Geschichten. Vor der Grenze hatte sich eine grosse Schlange gebildet. Vier Stunden habe es bis zur Grenzkontrolle gedauert. 

Olena Hulyayhorodska entschied, einen Freund zu kontaktieren, der sie mit dem Auto an die Grenze bringen sollte. «Wir blieben jedoch stecken, weil es so viele Autos hatte.» Also nahm sie ihren schweren Rucksack und ihre beiden Kinder und machte sich zu Fuss auf den Weg. Dann, als es geschafft war, sie endlich in Polen waren, musste die junge Mutter mit unruhigen Kindern am Arm eine weitere Stunde auf einen Platz in einem der Busse warten. «Ich war so erschöpft, dass ich nicht mal mehr schaute, wo der Bus genau hinfährt. Ich wollte einfach da rein», erinnert sich die 45-Jährige. Von Gabriela Eggler, welche mit ihrem Bruder Stefan nach Polen reiste, wurde das Trio abgeholt. Ein paar Stunden später konnte auch die Grossmutter mit ihren drei Enkelkindern beim Bahnhof Zamosc abgeholt werden.

Mit dem Neunplätzer ging es Richtung Schweiz. Nach einem Zwischenstopp mit Übernachtung in Tschechien und einer Übernachtung in Bayern kam die grosse Familie nach insgesamt zwölf Stunden Fahrt in Schindellegi an.

Das beige Haus mit der Nummer 1 an der Verenastrasse in Wollerau beherbergt seit dem 15. März elf ukrainische Flüchtlinge. Bild: Anouk Arbenz

Das Leid ist unvorstellbar

Noch immer erhält Olena Hulyayhorodska eine Nachricht, wenn in ihrer Heimatstadt der Alarm losgeht. «In den letzten Tagen wurde es immer schlimmer», stellt sie fest. Sie könne in der Nacht oft nicht schlafen, solange sie nicht wisse, wie es ihrem Mann, ihren Brüdern und ihren Cousins geht. Auch Datskos Mann und Brüder leisten in der Ukraine Dienst.

«Ich versuche, nicht zu oft daran zu denken, weil ich sonst emotional werde», gibt Datsko zu. Das Leid der beiden ist unvorstellbar. Ihren Kindern und Enkelkindern wollen sie ihre Traurigkeit und Verzweiflung nicht anmerken lassen. Ihr Sohn fürchte sich auch vor lauten Tönen – es höre sich für ihn wie eine Sirene an. Sie wird still. «Und mein anderer Sohn fühlt sich hier nicht zu Hause und fragt, wann wir wieder gehen.» Nachrichten aus Lwiw zeigen jedoch, dass es die richtige Entscheidung war, zu flüchten. Am 13. März griff Russland den Militärstützpunkt Jaworiw an, welcher etwa 40 Kilometer nordwestlich von Lwiw liegt.

Bald wieder nach Hause?

Die beiden Ukrainerinnen zeigen sich sehr dankbar für die grosse Hilfsbereitschaft, welche ihnen entgegengebracht werde. «Man kümmert sich um uns. Wir haben alles, was wir brauchen », sagt Halyna Datsko. Seit Mittwoch gehen die Kinder in Wollerau in eine Spezialklasse für ukrainische Kinder. Egglers Verwandte sind motiviert, zur Schule zu gehen und Deutsch zu lernen, wie sie sagt. «Auch wenn sie fest davon ausgehen, dass sie bald wieder zurückgehen.» Hoffentlich behalten sie recht.

Spenden

Direkthilfe Ukraine Schindellegi Spendenkonto: CH 94 8080 8005 7003 1147 0

Anouk Arbenz, Redaktion March24 & Höfe24